Die Ansiedlung der ungarischen Slowenen



Seit der Gründung Ungarns im 10. Jh. lebten auf dessen Territorium nicht nur ungarische Völker. Im Westen, Norden und Osten des Landes lebten Deutsche, im Süden Serben und Kroaten, ebenfalls im Westen die Slowenen und im südlichen Teil von Transsilvanien die Rumänen. Die meisten der heute in Ungarn lebenden Minderheiten siedelten sich im 17. und 18. Jh. in denjenigen Gebieten Ungarns an, welche in den Jahren der osmanischen Herrschaft (1526-1686) menschenleer geworden waren. Während der österreichisch-ungarischen Monarchie (1867-1918) war das Königreich Ungarn ein Vielvölkerstaat. (1910: 45,5% waren nicht ungarischstämmig). Nach dem 1. Weltkrieg verminderte sich die Zahl der Minderheiten in Ungarn in grossem Masse; eine Entwicklung, die sich nach dem 2. Weltkrieg weiter fortsetzte. Im ersteren Fall aufgrund des Trianoner Friedensvertrags (1920) und im letzteren als Folge der Aus- und Umsiedlungen sowie der freiwilligen Emigration. Die ungarischen Slowenen bilden zusammen mit den Slowaken die ureingesessenen Minderheiten, welche noch vor den Ungarn den westlichen Teil des Karpatenbeckens besiedelten.


Der Ursprung der Slowenen und ihrer Sprache



Die Sprache der Slawen gehört zur indoeuropäischen Sprachfamilie. Die heutigen Slawen stammen von den im frühen Mittelalter eine gemeinsame urslawische Sprache sprechenden drei indoeuropäischen Stämmen der Slawen, Anten und Veneter ab. Ihre Urheimat, welche primär im Gebiet des Flusses Vistula (Weichsel) lag, erstreckte sich von den Karpaten in Richtung Norden und vom Baltischen Meer in Richtung Süden. Der grösste Teil der Südslawen (Kroaten, Serben, Montenegriner, Makedonier und Bulgaren) siedelte sich während des 6. und 7. Jh. auf den Balkan an. Die Urahnen der Slowenen wanderten um 550 n. Chr. in das Gebiet ein, in welchem noch heute das slowenische Volk in Slowenien und in den benachbarten Regionen lebt. Nach der Landnahme der Ungarn wurden die zwischen den beiden Flüssen Raab und Mur lebenden Slowenen von der Mehrheit der übrigen Slowenen isoliert. Die landnehmenden Ungarn erlernten von den im Karpatenbecken lebenden Slawen, u. a. auch von den Slowenen, die Landwirtschaft. Zudem übernahmen die Ungarn noch etwa 500 slawische/slowenische Wörter, die sie bis anhin noch nicht kannten, in die ungarische Sprache.

Die im 16. Jh. geschaffene slowenische Literatursprache bildete sich aus vier der insgesamt acht Dialekte heraus. Die an der Peripherie des slowenischen Sprachgebietes lebenden italienischen und ungarischen Slowenen waren hingegen von dieser Entwicklung nicht betroffen. Ihre Sprache blieb diejenige des 16. Jh. Nach Trianon (1920) verlangsamte sich die Sprachentwicklung der Slowenen im Raum Szentgotthárd (Westungarn) weiter. Die ungarische Sprache hatte einen grossen Einfluss auf den Wortschatz und die Grammatik der Slowenen im Raabgebiet. Die ungarischen Slowenen bezeichnen ihre Sprache als „slovenski“ und ihre Identität, welche sie über ihre Sprache definieren, als „Sloven, Slovenci, Slovenge“. Die ältere Generation gebraucht auch heute noch den für die urslawische Form charakteristischen  grammatikalischen „Dual“. Hierbei besitzen nicht nur Substantive, sondern auch Verben neben den Singular- und Pluralformen eigene Zweizahlformen. Die meisten modernen indoeuropäischen Sprachen besitzen heute (mit Ausnahme des Slowenischen und des Sorbischen) keine Dualform mehr. Das Volk der im Gebiet der ehemaligen DDR lebenden Sorben ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Volk der in Ungarn lebenden Slowenen. Was die beiden aber miteinander verbindet, ist deren gemeinsame Zugehörigkeit zur slawischen Volksgruppe. In der ungarischen Fachliteratur werden die Slowenen vielfach „Vendek genannt. Der Terminusvend ist deutschen Ursprungs (Wenden/Winden) und wurde zur Bezeichnung der im deutschen Sprachraum lebenden Slawen verwendet. Das Gebiet zwischen Raab und Mur bzw. innerhalb der Territorien der beiden Komitate Vas und Zala war zuvor im Besitz der deutschsprachigen Franken. Die Slowenen, welche später dieses ehemals von den Franken bewohnte Gebiet besiedelten, wurden deshalb „vend“, (Wenden/Winden), „vendus-tótok“ (Windisch-Slowenen/Slowaken), „vendszlovének“ (Wend-/Windslowenen) genannt. Das Gebiet, in welchem diese Slowenen lebten, wurde entsprechend mit dem Namenvendvidék“ (Wenden-/Windengebiet) versehen; ein Begriff, welcher jedoch keine pejorative Bedeutung hat.


Ansiedlung und Christianisierung



Die Vorfahren der Slowenen im Komitat Vas (im Gebiet zwischen den Flüssen Raab und Drau) siedelten sich zusammen mit den Awaren in der zweiten Hälfte des 6. Jh. an. Im 8. Jh. geriet dieses Gebiet unter die Herrschaft der Franken, welche die Awaren vertrieben. An deren Stelle siedelten sich im 9. Jh. u. a. auch aus Karantanien kommende Slowenen an. Die Bewohner dieses Gebietes waren in der zweiten Hälfte des 9. Jh. Untertanen der unterpannonischen Slawenfürsten Pribina (847-861) und Kocel (861-874). Im 8. Jh. begannen die Salzburger Bischöfe von Károly Nagy damit, die im Raabgebiet lebenden Slowenen zu christianisieren. Während der Herrschaft von Pribina und Kocel im 9. Jh. wurde die Christianisierung weiter vorangetrieben. So ernannte beispielsweise Papst Hadrian II. im Jahre 869 n. Chr. auf Wunsch des unterpannonischen Slawenfürsten Kocel den Slawenapostel Method zum Erzbischof der pannonischen Slawen. Die Bischöfe, welche Pribina aus Salzburg für die Missionierung geholt hatte, verkündeten das Christentum auf Slowenisch, woraufhin viele einfache Menschen den katholischen Glauben annahmen. Der Sohn von Pribina, Kocel, pflegte im Winter im Siedlungsgebiet der Slowenen auf die Jagd zu gehen. Unter den Jägern gab es viele Heiden, die mehrere Frauen hatten und deshalb nicht gewillt waren, den christlichen Glauben anzunehmen. Aber Kocel versuchte sein Bestes, ihnen trotzdem das Christentum zu verkünden. Da es jedoch zur damaligen Zeit an Gläubigen, Zimmermännern und Geld mangelte, waren die ersten katholischen Kirchen klein und aus Holz gebaut. Die Slowenen im Raabgebiet wurden folglich wie gesehen nicht in einer einzigen Aktion von einem bestimmten Missionar, sondern in mehreren Schritten, von mehreren unterschiedlichen Geistlichen zum Katholizismus bekehrt.

 

 

Übersetzung aus dem Ungarischen und Zusammenfassung: Tibor Horváth

in Anlehnung an: Mukics Mária, „A Magyarországi Szlovének, Press Publica, 2003.